Protestaktion gegen die Anwendung der Todesstrafe im Iran in Berlin (Archivbild).
© Maurizio Gambarini/dpa
fein leben
18.03.2023, 13:43 Uhr

Tag der politischen Gefangenen: Patenschaften sollen Iraner:innen helfen

Freiheit, die wir genießen, haben längst nicht alle Menschen auf der Welt. Inhaftierungen, Folter und gar Mord sind leider auch 2023 keine Seltenheit. Der Tag der politischen Gefangenen am 18. März soll auch unser Bewusstsein für die grausame Handhabe mancher Regime mit Kritiker:innen schärfen. Und damit nicht nur schlechte News verbreitet werden, hier ein Ansatz, mit dem aktiv geholfen wird.

Was genau ist ein:e politische:r Gefangene:r?

Ein:e politische:r Gefangene:r ist eine Person, die aus politischen oder weltanschaulichen Gründen inhaftiert ist. Das beinhaltet nicht nur Personen, die wegen Meinungsdelikten oder im jeweiligen Staat verbotener politischer Aktivitäten festgehalten werden, sondern alle Fälle, in denen die politische Einstellung oder politische Aktivitäten des/der Gefangenen Einfluss auf die sogenannte Strafzumessung hatten.

In vielen Ländern und Staaten werden nach wie vor diejenigen, die ihre religiöse oder politische Meinung äußern und so einem Regime auf die Füße treten, ausgesondert, inhaftiert, gefoltert und sogar getötet. Auch im Jahr 2023 erreichen uns unter anderem aus dem Iran die Meldungen von Ermordungen (junger) Menschen, die dem System gegenüber kritisch auftreten. Meinungsfreiheit, wie wir sie durch Artikel 5 (1) des Grundgesetzes oder durch Artikel 11 in der Charta der Grundrechte, die die Europäische Union schützt, kennen, ist in vielen Teilen der Erde nach wie vor nicht gegeben. Journalist:innen, Autor:innen, Künstler:innen sind prominente Beispiele - zum Beispiel der Fall des Journalisten Denis Yücel (2017) - für eine große Dunkelziffer an Menschen, die nicht auf der medialen Agenda sind. Eine anonyme Masse, die nicht nur im Iran, sondern auch in vielen anderen Staaten einfach in Gefängnissen und Folterkammern verschwinden.

Gerade im Iran: Viele akute Fälle

Das Regime im Iran beispielsweise ist zuletzt erneut mit der Behandlung der jungen Menschen, die nach der Ermordung der jungen Frau namens Jina Amini auf die Straße gegangen sind, auch bei uns auf der Nachrichtenagenda gelandet. Alleine diese Fälle zeigen, wie wichtig auch wir dieses Thema nehmen sollten und wie sehr wir wertschätzen sollten, dass wir unsere Meinung frei äußern können, ohne dafür gleich inhaftiert zu werden.

Seit Beginn der Proteste nach dem Tod von Jina Amini wurden in Iran mehr als 19.600 Personen inhaftiert. Vielen politischen Gefangenen droht die Todesstrafe. Unterstützung erfahren sie aus der Diaspora: Eine Gruppe von Aktivist:innen in Deutschland vermittelt politische Patenschaften, um Öffentlichkeit für die Fälle zu schaffen. Die Aufmerksamkeit, die von der Todesstrafe bedrohte Menschen in Iran inzwischen erfahren, hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass bislang weniger Menschen getötet wurden, als im sogenannten Blutigen November 2019, als mindestens 1500 Menschen hingerichtet werden. Das Regime schaltete damals das Internet für eine Woche komplett ab. Wir hier erfahren das Ausmaß der Gewalt und Morde erst im Nachhinein.

Warum Aufmerksamkeit so wichtig ist

Auch diesmal werden die Familien Protestierender eingeschüchtert und teilweise vermutlich zu Falschaussagen in staatlichen Medien gezwungen. Es wird viel unternommen, die Angehörigen zu zermürben. Eine Strategie, damit sie keinen Ärger machen. Denn viele Trauerfeiern sind zu Protesten geworden. Allen voran das Begräbnis von Jina Amini in ihrer kurdischen Heimatstadt Saqqez, zu dem Hunderte strömen und Parolen gegen die Islamische Republik rufen. Für die Proteste seit dem Tod Aminis gibt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Activists News Agency (HRNA) an, dass inzwischen mehr als 19.600 Personen inhaftiert seien und 527 Personen, darunter über 71 Minderjährige, durch das Regime getötet wurden. Mehr als 100 Menschen sind laut HRNA akut von der Todesstrafe betroffen, die Dunkelziffer liegt vermutlich höher.

Erst am Freitag, 17. März, sind Iran Menschenrechtler:innen zufolge mindestens sieben Kurden hingerichtet worden. Im Zentralgefängnis der nordwestlichen Stadt Urmia seien in den frühen Morgenstunden sieben Gefangene exekutiert worden, berichtete die Menschenrechtsorganisation Hengaw mit Sitz in Oslo, die gute Kontakte in die Region unterhält. Von der iranischen Justiz gab es zunächst keine Bestätigung. Unter den Hingerichteten war dem Bericht zufolge auch ein politischer Gefangener. Mohijeddin Ebrahimi wurde demnach 2018 für seine Mitgliedschaft in der Kurdischen Demokratischen Partei (PDKI) wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Die Islamische Republik betrachtet die Partei als Terrororganisation und geht vehement gegen ihre Mitglieder vor. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte die Exekution. Die anderen Exekutierten waren laut Hengaw mehrheitlich wegen Drogendelikten verurteilt worden.

Im Januar und Februar sind im Iran nach Informationen von Amnesty rund 100 Menschen hingerichtet worden. Die Organisation wirft den Behörden im Iran vor, die Todesstrafe auch als "Instrument der Unterdrückung" ethnischer Minderheiten einzusetzen. Menschenrechtler kritisieren seit Jahren die Anwendung der Todesstrafe im Iran, die in der Regel durch Erhängen vollstreckt und vor allem wegen Drogendelikten angewendet wird.

Die meisten Getöteten sind Belutsch:innen und Kurd:innen und meist finanziell arme Leute. Um die Aufmerksamkeit auf die von Hinrichtungen Betroffenen zu lenken, braucht die Diaspora neue Handlungsmöglichkeiten neben Kundgebungen und Social Media Posts, äußert zum Beispiel die Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte vergibt seit über zehn Jahren sogenannte Patenschaften an Politiker:innen. Durch die Patenschaft schaffen sie Öffentlichkeit für eine von der Todesstrafe bedrohte Person. Sie üben Druck auf den iranischen Botschafter aus und fordern faire Prozessbedingungen. Damit senden sie ein Signal an das iranische Regime und an die Gefangenen selbst: Wir schauen hin. Etwas weniger bürokratisch und damit schneller koordiniert auch eine Gruppe von Aktivist:innen in Deutschland Patenschaften.

Wie funktionieren Patenschaften für politische Gefangene?

Aktiv setzt sich zum Beispiel die Gruppierung HÁWAR.help ein. Sie führt das Patenschaftsprogramm für von der Hinrichtung bedrohte und mit langjährigen Haftstrafen belegte politische Gefangene in Iran fort. Aktuell geht es vor allem um die Vermittlung an Abgeordnete auf Bundes- oder Landesebene in Deutschland. Potenziell sind dies mehr als 19.000 politische Gefangene. Von ihnen sind aktuell sind etwa 110 Menschen* akut von einer Hinrichtung bedroht. Viele der Inhaftierten sollen für Jahrzehnte eingesperrt werden. Über 370 Patenschaften sind seit Beginn des Programms an politische Amtstäger:innen vermittelt worden.

Worum geht es, was können solche Patenschaften bewirken? Mit jeder Übernahme wird Öffentlichkeit geschaffen für Menschen, die das Regime am liebsten heimlich töten würde. Die Namen der Todeskandidat:innen werden bekannt, es entsteht Druck auf die Machthabenden. Die politischen Pat:innen richten regelmäßig Anfragen an die Gerichte in Iran und den iranischen Botschafter in Deutschland und informieren die Öffentlichkeit über den Status ihres Paten-„Kindes“. In einigen Fällen bewirkten die Patenschaften, dass die Todeskandidaten auf Kaution wieder frei gelassen wurden. Andere erhielten zumindest Hafterleichterungen, Zugang zu einem Anwalt oder medizinischer Versorgung oder ihnen wurden Telefonate mit engsten Angehörigen gestattet. Das Ziel ist immer die Aufhebung der Todesurteile bzw. der Anklagepunkte sowie die Freilassung der Inhaftierten.

Aus organisatorischen Gründen arbeitet HÁWAR.help aktuell vor allem an der Vermittlung an bekannte Politiker:innen in Deutschland. Vorrang in der Vermittlung haben momentan die politischen Gefangenen, die seit 16. September 2022 festgenommen worden sind. Priorität haben zunächst all diejenigen, die ein Todesurteil erhalten haben oder mit Anklagepunkten vor Gericht stehen, die zu einem Todesurteil führen könnten. Auch Kinder unter 18 Jahren werden priorisiert vermittelt.

Damit auch die entsprechende Öffentlichkeit geschaffen und der Druck ausgeübt wird, die benötigt werden, schreiben politische Pat:innen regelmäßig Briefe an den iranischen Botschafter. Sie schreiben auch dem Auswärtigen Amt, der Menschenrechtsbeauftragten und weiteren politischen Instanzen in Deutschland und in der EU, um sich für die Gefangenen einzusetzen. Zudem arbeiten die Abgeordneten durch regelmäßige Social Media Posts und durch klassische Pressearbeit, um weiterhin medial Aufmerksamkeit zu generieren.

Falls Du Interesse an dem Projekt, seiner Unterstützung oder über kurz oder lang an einer Patenschaft hast, dann schreib eine Mail an info@hawar.help.

Falls Du noch genauer wissen willst, warum die internationale Wahrung der Menschenrechte auch für Dich so relevant ist, findest Du auf der Seite von Amnesty International dazu eine 10-Punkte-Liste, die wir für lesenswert halten.


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