Höher, schneller, weiter und vor allem immer noch ein wenig mehr: Wir leben doch in einem Selbstliebe- und Selbstoptimierungswahnsinn, findet unsere Autorin Andrea. Reicht es nicht mehr, einfach nur fein mit sich selbst zu sein?
Lass uns über Selbstliebe sprechen. Damit meine ich auch Euch, Jungs! Jenes Wolkengebilde, das immer mehr in aller Munde ist und als logische Schlussfolgerung aus der Selbstoptimierung stammen muss. Oder deren Pendant, deren Gegenstück, ist. Trendy, fancy, ein Must-do. Das ganze Netz ist voller Menschen, die Selbstoptimierung betreiben, als würden sie dafür locker eine Milliarde Dollar verdienen. Schöne Menschen, sportliche Menschen, verkünstelte Menschen, dicke falsche Wimpern und stählerne Muckis. Ja, die Welt ist voll davon und gefühlt werden es immer und immer mehr. Und wir machen mit: Beginnen den Morgen mit einem supergesund schmeckendem Smoothie mit Sellerie, Joggen in der Mittagspause, verzichten auf Alkohol, machen nach dem Feierabend Yoga oder rennen jeden Tag ins Fitnessstudio, die Sonnenbank, jagen ins Kosmetikstudio, kaufen uns die trendige Billigklamotte und müssen um spätestens 22 Uhr völlig entspannt schlafen, um am nächsten Tag den Stress erneut auszuhalten und ihm entgegenzulächeln. Wir sind und wir machen uns zu Hamstern, die so schnell im Rad laufen, dass sie vergessen, was sie da eigentlich gerade tun.
Doch wird mit all dem Geballere die Selbstliebe nicht damit auch zum hochgewachsenen und hausgemachten Irrsinn, weil übertrieben und so multi-optional? Ich wage die Vermutung, dass die Selbstliebe in unserer reaktionären High-Speed-Gesellschaft längst nicht mehr ihr angelegtes Naturell beherrscht, das der Müßigkeit, der Großzügigkeit, des Wohlwollens und des Selbstschutzes. Ich behaupte, dass genau das konterkariert werden könnte. Und doch lohnt sich hier auch ein entspannter Blick, denn Selbstliebe ist keine schädliche Sache, gerade in diesen Zeiten, in denen wir regelrecht gedrückt und gezwungen werden und auch die vergangenen zwei Jahre wurden, uns wahnsinnig intensiv mit uns selbst auseinander zu setzen und unser eigener Spiegel zu sein.
Wir müssen unterscheiden und die Begriffe durchdeklinieren: Selbstliebe ist Liebe, und bei der Liebe macht es wenig Unterschied, wer das Objekt der Liebe ist; jeder ist selbst ein menschliches Wesen und deshalb Objekt der Liebe. Der Mensch muss eine bejahende, liebende Einstellung zu sich selbst haben. Der egozentrische, narzisstische Mensch liebt sich in Wirklichkeit nicht, weshalb er gierig ist. Ganz allgemein gilt, dass nur der Mensch gierig ist, der unbefriedigt ist.
Dieses ganze Ding der Selbstliebe ist kein neuer Komplex, sondern befasst die Menschen wohl schon, seitdem sie mit u.a. der landwirtschaftlichen Revolution zu Beginn der Geschichte des Homo sapiens sich über die Natur erhoben und von ihr entfremdet haben. In der industriellen Revolution muss sich das intensiviert haben, damals begann (wie Marx schon sagt), die Entfremdung des Menschen.
Gleichzeitig sind wir durch die digitale Revolution so zugeballert mit Idealen und Schönheitsvorstellungen aus aller Welt, im Sekundentakt, in einer Welt, in der man alles tut, damit die anderen einen wahrnehmen. Sich selbstliebende Menschen entziehen sich dem: Sie wollen gar nicht allen gefallen, sie genießen sich selbst. Sie wollen sich selbst gefallen und finden Erfüllung auch im Müßiggang und dem absolut süßen Nichtstun. Wichtig ist: Achte auf Dich und Deine psychische Gesundheit, denn so ein Selbststress aufgrund von aufdoktrinierter Selbstliebe kann auch fix krank machen! Du bist genug. Das ist elementar.